Erzählung der beiden Schwestern Anna Meier, geb. am 5. Juni 1923 und Elisabeth Hammerschmid, geb. am 18. Juni 1925.

Im bäuerlichen Anwesen Hochweg 1 in Pittersberg empfingen ihn und seinen Begleiter Albert Schärtl, der sich intensiv mit Familienforschung beschäftigt, zwei quicklebendige, aufgeschlossene, humorvolle alte Damen, die noch voll im Leben stehen und das große Haus mit den Nebengebäuden nun allein bewohnen. Der ältere Sohn Hubert der Anna Meier lebt als wohlbestallter Finanzamtmann in Mühldorf am Inn. Erst 35-jährig ist der jüngere Sohn Johann leider am 9. August 1997 unerwartet verstorben. Ihren Mann verlor Frau Meier nach 36 Jahren Ehe schon 1989. Vom Schicksal hart gebeutelt, was in dem Gespräch gelegentlich zu spüren ist, hat sie dennoch ihre positive Lebenseinstellung nie aufgegeben. In dem gemütlichen Wohnzimmer ist sie in ihrem bequemen Clubsessel die agilere Erzählerin der beiden Schwestern, mit lebhaft blitzenden Augen.

Schwester Elisabeth sitzt etwas abseits auf einem Stuhl und verfolgt das Geschehen äußerst aufmerksam und sichtlich bescheiden. Anna Meier bedauert, nach einem leichten Schlaganfall im Oktober 1997 – unmittelbare Folge des furchtbaren Todesfalles ihre Sohnes – sich an manches nicht mehr so genau und vor allem wortgetreu zu erinnern. Aber ihr Wissen von früher ist trotzdem verblüffend.
Beide Frauen verbrachten ihre Schulzeit mehr oder weniger zum großen Teil in der NS-Zeit. Anschaulich erzählen sie ihren damaligen Tageslauf. Um 6 Uhr hieß es aufstehen, in einer Schüssel waschen und mit einer Brotrinde die Zähne putzen. Zum Frühstück gab es einen „einbrockten Kaffee“. Der bestand aus einer Mischung aus Malz, etwas Kaffee und Zichorie zur Geschmacksverbesserung. In dieses Getränk wurden Brotzstückchen eingebrockt und ausgelöffelt. Danach traten die beiden Schulmädchen ihren in direkter Linie ca. 360 m langen Schulweg an, wozu sie etwa fünf Minuten brauchten. Den freien Blick, dem ehemaligen Schulsteig folgend, stört heute die laute Bundesstraße.

Um 7 Uhr begann die tägliche Heilige Messe mit anschließendem Rosenkranz. Der Unterricht dauerte im Winter von 8 bis 11 Uhr, wurde mit dem Morgengebet eröffnet und endete mit dem „Engel des Herrn“. Dann war Mittagspause. Die Kinder verspeisten Ihr Schwarzbrot mit Apfel. Die Hammerschmid-Schwestern liefen nach Hause und waren pünktlich um 12 Uhr wieder in der Schule. Um 15 Uhr wurde der Unterricht mit einem Gebet beendet. Die Mädchen hatten jedoch zweimal in der Woche am Dienstag und Freitag anschließend noch eine Stunde Handarbeit. Nach der Bearbeitung der Hausaufgaben und der Verrichtung kleinerer Arbeiten wie Brennholz hereinholen, Hasen und Hühner füttern, durften sie sich die Zeit mit Spielen vertreiben. Machte auch das Schlittenfahren oder Herumtollen mit Freunden und Freundinnen noch so viel Spaß beim Gebetläuten hatte man zu Hause zu sein.

Im Sommer dauerte der Unterricht nur bis 12 Uhr. Nach dem Mittagessen mit Vor- und Nachgebet wurden die Hausaufgaben erledigt.

Bis zum zehnten Lebensjahr mussten die Mädchen die Gänse auf der Gensdroht hüten. Diese befand sich links der Straße nach Breitenbrun, wo heute die Familien Nowak, Ott usw. leben. Oberhalb auf dem Pflanzberg lag die Saudroth. Mit elf Jahren wurde den Mädchen das Kühehüten auf der Väich- oder Kähidroth übertragen. Dabei trieben sie die Rinder hinunter ins Wiegental zum Zäigler und über Grubach, ein Tal in Richtung Freihöls, in einem umfänglichen Bogen bis acht Uhr abends wieder zurück zum Hallerbauernhof.

Die Kähidroth zog sich als Wiesenstreifen zwischen den Äckern der Pittersberger Bauern und dem Wal des Wolfringer Gutsherrn hin. Diese verschiedenen Drohten waren Gemeindegrund. Der Pfarrer trieb seine Rinder auf die Kircheneigene Käihdroht. Am Hefaweiherl in Richtung Weberhölzl. Nach dem Abendessen und –gebet richteten sich die Schwestern gleich zum Schlafen.

Mit 12 Jahren mussten die Mädchen mit dem Stampffass ausbuttern. 1948 ging diese Arbeit dann mit einem Drehfass, das sogar eine Übersetzung hatte, wesentlich leichter.

Besonders schwärmen die beiden alten Damen von ihrer Mutter und Anna Meier bedauert, dass sie von deren Fähigkeiten so wenig erlernt und übernommen hat. Diese bemerkenswerte, 1883 geborene Frau heiratete erst mit 39 Jahren, gebar Anna mit 40 und Elisabeth mit 42. Sie konnte neben Haushalt, Kindererziehung und Schneidern auch noch Wein aus Schlehen, Wechseln oder andere Beeren und Früchten und Schnaps aus Korn oder den besonders geschätzten Nussgeist herstellen, ganz abgesehen von den köstlichen Backwaren, wie Käichln, Rohrnudeln, Braoudkäichln und –schmoarn und vieles mehr, das aber nicht nur an besonderen Festtagen auf den Tisch kam.

In der NS-Zeit änderte sich im bäuerlichen Tageslauf wohl nichts Gravierendes. Die Kinder wurden auf dem Hof gebraucht und für wehrertüchtigende oder volksgenössiche Veranstaltungen blieb nicht allzu viel Zeit. Dennoch gab es auch in Pittersberg eine „Hitlerjugend“ HJ, und den „Bund deutscher Mädchen“ (BdM).

Die beiden Schwestern kamen nicht aus, obwohl der Vater kein Parteimitglied und gegen die politische Einvernahme erst Zehnjähriger war. Elisabeth erzählt von ihrer Aufnahme in das Jungvolk:
„Eines Tages klopft es an der Klassenzimmertür und zwei uniformierte Männer treten ein. Der eine setzt sich an das Lehrerpult, der andere steht und fordert alle Kinder, die 11 Jahre alt geworden sind, auf sich zu melden. Der am Pult schreibt sie auf und verkündet anschließend: Damit seid ihr in die Hitlerjugend aufgenommen. – Auf dem Heimweg kam mir erst die Angst "Was wird der Vater sagen?“ Der machte auch ein furchtbares Donnerwetter und verlangte, dass die Aufnahme beim nächsten Appell rückgängig gemacht werde.

Die Nationalsozialisten hatten den schulfreien Samstag eingeführt und dafür politische Schulungen und vormilitärische Übungen verpflichtend für das Jungvolk, also die 11- bis 16-jährigen, angesetzt. Dabei gingen sie durchaus geschickt vor und die Buben und Mädchen waren begeistern von dem Programm dieser Appelle. Basteln, Marschieren und viel Sport lag der männlichen, Sticken, Häkeln, Stricken und Körbchen flechten der weiblichen Jugend besonders. Singen, Tanzen und Theaterspielen machte man gemeinsam.

Verstärkt wurde die Motivation häufig, wenn es galt, Nötiges herzustellen: Windeln besticken, Topflappen häkeln u.a. für das Mütterhilfswerk, später dann Socken für die Landser stricken. Welches Mädchen wollte da nicht helfen? Die Buben wurden neben Spiel und Spaß je nach HJ-Führer gehörig gedrillt und für militärische Aufgaben vorbereitet.

Das Lernen und Einüben von Liedern und Gedichten mit nationalistischen Grundideen gehörte zum Standardprogramm dieser Appelle.
Anna Meier rezitiert:
„Frühlingsanfang und Werkbeginn, Neuers Blühen und neues Wachsen,
Räderschwung und stöhnende Achsen, Flammendes Wollen besiegt den Sinn.
Frühlingsanfang und Werkbeginn.“

Beim nächsten Appell müssen also die Schwestern den Auftrag des Vaters erfüllen und die Aufhebung ihres Beitritts verlangen. Als Grund geben sie an, der Beitrag von 50 Rpf für beide sei von ihren Eltern nicht zu leisten. In Zukunft würden sie isoliert, außenstehend mit allen Konsequenzen sein. Die BdM- Führerin möchte natürlich so einen Makel in ihrer Bilanz vermeiden und verspricht, sich bei der vorgesetzten Stelle einzusetzen. Tatsächlich findet der Härtefall Anerkennung und für beide Mädchen braucht der Vater insgesamt nur 25 Rpf zu zahlen.

Der Krieg überschattete die Jugendzeit der beiden Schwestern. Tanzveranstaltungen waren eingestellt. Jedoch erinnern sich die Damen noch lebhaft an die Theateraufführungen, die Pfarrer Heitzer inszenierte. Nationalsozialistischer Größenwahn mit seinen Ideen vom reinrassigen Ariertum und dessen absoluter Überlegenheit über die restlichen Völker der Welt versuchte in das Bewusstsein der Jugend nachhaltig einzudringen. Dies ist sicher teilweise gelungen.

Doch gerade auf dem Land empfanden die Buben und Mädchen die Appelle als willkommende Abwechslung im harten Bauernleben. Die wahren Absichten erkannten sie nicht oder nahmen sie nicht ernst, wie auch der eine HJ-Führer oder die andere BdM-Führerin als Spinner abgetan bzw. ertragen wurden. Was sich da zusammenbraute, erkannten die meisten erst im Verlauf des Krieges und der totalen Niederlage.

In der Vorkriegszeit ärgerten sich die Landwirte über das Erbhofgesetz und besonders darüber, dass sie über ihre Erzeugnisse nicht mehr frei verfügen durften. Anna Meiers und Elisabeth Hammerschmids Eltern hielten Butter, Schmalz, Mehl und Eier versteckt auf Vorrat für arme Menschen, die Glas, Porzellanwaren usw. dafür tauschten. Nachdem ein Termin rechtzeitig ausgemacht war, fuhr der Hallerbauer eines Nachts den Roggen oder Weizen beladenen Kuhwagen zur Mühle nach Dürnsricht. Die Tochter Anna ging mit einer Laterne voraus, um vor nahender Gefahr sofort zu warnen.

Naturalien waren das Zahlungsmittel, wenn man den Arzt oder Zahnarzt brauchte. Für Annas drei neue Zähne verlangte er „Fotzenspangler“ 3 Doppelzentner Roggen und Elisabeths Zweierbrücke kostete 2 Sack Kartoffeln.

Alle vierzehn Tage kam der Milchwieger früh um 6 Uhr. In dieser Nacht standen die Bauersleute schon zwischen 3 und 4 Uhr auf und molken die Kühe vor, dass sie nachher nicht zu viel Milch gaben. Zweimal im Jahr fanden Viehzählungen statt. Größere Stücke wie Pferde, Rinder und Schweine konnten nicht so einfach verschwinden, aber Kleinvieh bot da noch einige Möglichkeiten. Die Meiers z.B. steckten etliche ihrer Hühner in einen Sack, banden ihn zu und versteckten das Bündel auf dem Feld draußen im Weizen. So handelten alle Bauern, einer wusste über den anderen Bescheid, aber keiner verriet jemanden.

Auch die örtlichen Prüfer kannten sich aus und spielten das Geschummel mit, weil sie dabei ebenfalls nicht leer ausgingen. Aufgabe der Polizeistation Pittersberg war es u.a. den Schwarzhandel und die Schwarzschlachtungen zu unterbinden und zu melden. Die Beamten drückten jedoch unter dem Einfluss eines geeigneten Schmiermittels leicht ein Auge zu.